Unser Gesundheitssystem
- Ina Luzia
- 27. Dez. 2020
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 6. Jan. 2021
Über Ärzte habe ich schon viel geschrieben. Aber sie sind ebenso wie wir alle, in einem Gesundheitssystem gefangen, in dem nicht alles rund läuft. Ich beginne mal mit dem offensichtlichsten Punkt: Kassenpatienten und Privatpatienten. Wenn das Gleichberechtigung sein soll, dann sollte ich vielleicht überlegen in die Politik zu wechseln. Meistens muss ich mir schon vor der Warteschleife am Telefon von einer Computerstimme anhören: "Wenn Sie Privatpatient sind, dann drücken Sie bitte die eins. Wenn Sie gesetzlich versichert sind, dann drücken Sie bitte die zwei." Das ist dann oft der Moment, an dem ich auflege, eine andere Praxis anrufe und darauf hoffe, dass mir die Computerstimme nicht wieder begegnet. Ich verstehe, dass man lange auf Termine warten muss, weil unser Gesundheitssystem einfach überlastet ist, gerade jetzt während der Corona Pandemie. Was ich aber nicht verstehen kann ist die Vergabe der Termine. Sollte es nicht nach Dringlichkeit und Schweregrad gehen? Dazu eine kleine Geschichte: Eine junge Frau stellt sich in einer Klinik vor. Sie hat sich den Meniskus beim Handballspielen gerissen. Der Arzt gibt ihr einen OP-Termin in drei Monaten. Als sie das Zimmer verlässt hört sie die Krankenschwester flüstern: "Aber Herr Doktor, warum operieren wir die Frau nicht früher?" Der Arzt antwortet: "Sie ist Kassenpatientin." Nachdem sie das Gespräch gehört hatte, stellte sie sich in einem anderen Krankenhaus vor. Sie wurde innerhalb von drei Tagen operiert. Der Arzt dort sagte ihr, dass sie nie mehr hätte Handball spielen können, wenn sie drei Monate gewartet hätte. Das ist nur eine von vielen Geschichten. Manchmal ist es aber auch umgekehrt und Privatpatienten werden benachteiligt. So hat eine Mutter monatelang für ihre, an Bulimie erkrankte Tochter einen Klinikplatz gesucht. Weil die Gesetzlichen Krankenkassen solche Klinikaufenthalte mehr unterstützen als Private, war sie im Nachteil. So musste die arme Frau jeden Tag hilflos dabei zusehen, wie sich ihre Tochter übergibt und kurz vor dem Verhungern steht. Eine gewisse Erfahrung kann bei diesen Problemen helfen, aber meist ist es doch das Glück, das uns rettet. Ich kann Euch ein paar Ratschläge geben, aber am Ende ist es unsere System, das uns den Weg blockiert. Zu aller erst solltet Ihr klar und deutlich sagen, wie dringend Euer Anliegen ist. Mein Leidensdruck wurde oft unterschätzt, weil ich vieles einfach runtergeschluckt habe und äußerlich nie richtig krank aussah. Selbst mein Untergewicht schien einige Ärzte nicht zu interessieren, es wurde als "guter Allgemein- und Ernährungszustand" deklariert. Es gibt bestimmte Kriterien, die passen müssen, bevor Ärzte anfangen zu handeln. Wenn diese erfüllt sind, ist es aber leider oft zu spät für den Patienten. Lasst Euch also nicht abwimmeln, sondern bleibt hartnäckig. Und wenn Weg A nicht funktioniert, dann versucht Weg B, C, D,... Manchmal hilft zwar auch das nicht, aber einen Versuch ist es allemal wert. Ihr solltet auch jemanden an Eurer Seite haben, der Euch unterstützen kann. Sei es die Begleitung zu Arztterminen oder einfach die Ablenkung von der ganzen Belastung. Ihr solltet jemanden haben, mit dem ihr Eure Last teilen und auf den ihr Euch verlassen könnt. Wenn die psychische Belastung zu groß wird, dann scheut nicht vor einer Therapie zurück. Nicht nur mir selbst, sondern auch meinen Eltern hat die Therapie sehr viel gebracht. Wir haben unter anderem gelernt, wie wir schwere Zeiten gemeinsam bewältigen können und wie stark wir als Familie zusammengewachsen sind. Man hat nicht gleich einen Sprung in der Schüssel, nur weil man eine Therapie macht. Ganz im Gegenteil, man entwickelt sich weiter und ist vielen anderen dadurch weit voraus. Viel mehr kann ich Euch gar nicht raten, denn letztendlich sind es nur Pflaster, die versuchen die Wunde zu schützen. Natürlich können wir erstmal dankbar sein, dass wir überhaupt ein Gesundheitssystem haben, das uns mit Krankengeld versorgt, das uns viele Spezialisten an die Hand gibt, das auch in Corona-Zeiten nicht völlig kollabiert,... Aber es gibt gleichzeitig ebenso viele bröckelnde Stellen, die einem erst auffallen, wenn man selbst im maroden Gebäude steht.
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