Panikattacken
- Ina Luzia
- 19. Feb. 2022
- 4 Min. Lesezeit
Ich habe lange nichts mehr von mir hören lassen. Der Grund dafür ist, dass ich mich dazu entschieden habe, einen ganz neuen Weg zu gehen. Während meiner Ausbildung wurde ich mehr als zwei Jahre lang von einer Therapeutin begleitet. Von Sitzung zu Sitzung begriff ich, wie die Therapie mir und meiner Familie im Umgang mit meiner chronischen Erkrankung half. An den genauen Zeitpunkt kann ich mich nicht mehr erinnern, aber irgendwann wusste ich: "Das möchte ich auch machen. Ich möchte Therapeutin werden und das weitergeben, was ich gelernt habe." In der Zeit des Krankenhausmarathons war dieser Wunsch für mich mehr wie ein Traum. Ich war schon heil froh, wenn ich den Faden in der Berufsschule nicht verlor. Die Angst ein Studium zu bewältigen, saß mir im Nacken. Dank Dr. Incredible, meiner Heilpraktikerin und ganz besonders dank meiner Eltern, hatte mich nun doch der Mut gepackt. Ich bewarb mich für ein Psychologie Studium. Nach der Zusage des Studienplatzes, kündigte ich im Hand umdrehen meinen Job und freute mich auf einen neuen Lebensabschnitt. Schon nach den ersten Wochen des Semesters fand ich eine Freundin, mit der ich das Gefühl hatte, alles schaffen zu können. Hier hatte das Schicksal wohl wieder zugeschlagen, denn auch sie hat Probleme mit ihrem Darm. Uns zwei gibt es seither nur noch im Doppelpack. Sei es in Bauchmonster- oder in Studienangelegenheiten. Trotz dieses genialen Teams, überkam mich vor den Klausuren die Angst zu versagen. Das Männchen, dass mit der einen Hand einen Backstein gegen meinen Magen wirft und mit der anderen Hand ein Feuer zündet, ist wieder da. Mein Alarmsystem meldet einen Totalausfall. Mein Darm schließt sich dem Katastrophenfall an und legt seine Arbeit nieder. Bauchschmerzen, Atemnot, Schwindel und ein dumpfes Geräusch auf den Ohren überkommen mich. Ich erinnere mich an die Worte meiner Heilpraktikerin: "Senkrecht Atmen. Von oben durch die Nase einatmen und nach unten durch den Mund ausatmen." Doch leider ist senkrecht Atmen leichter gesagt als getan, wenn man das Gefühl hat, dass die Lunge die Luft nicht hereinlassen kann. Während ich trotzdem versuche zu atmen, wieder hole ich in Gedanken: "Du schaffst das Ina. Erst gewinnen, dann beginnen." So langsam finde ich zurück. Ich komme im hier und jetzt an. Der Gipfel der Panik ist überwunden. Trotzdem fühlt es sich immer noch so an, als steckte ich in einer andauernden Panikattacke. Ich schlage mein Notizbuch auf und fange an zu schreiben: "Die Gedanken, die dich versuchen zu überwältigen, entstehen nur in deinem Kopf. Sie sind nicht real. Dein Bewusstsein glaubt es wäre allwissend und predigt dir diese negativen Szenarien. Doch dein Unterbewusstsein versucht sich durch physische Symptome bemerkbar zu machen. Es weiß eigentlich genau, dass du alles schaffen kannst. Nur wird es durch seinen Gegenspieler übertönt. Warum schreckst du vor ein paar Klausuren zurück, obwohl du schon ganz andere Sachen gemeistert hast!? Mach dich nicht kleiner, als du bist. Das was du denkst, ziehst du an. Also sei zuerst einmal optimistisch und dann kommt alles andere von ganz allein. Zweifeln kann jeder. Hoffen ist die Kunst." Seinen Alten Ego zu ertappen, scheint mir nicht ganz so leicht zu sein. Ich bin meinem Ego zwar schon ziemlich nah auf der Spur, aber entdecke immer Neues über meine Psyche und wie sie meinen Körper einnimmt. Ich hoffe das Studium und meine eigenen Erfahrungen helfen mir dabei, meinen zukünftigen Patienten einmal gute Ratschläge geben zu können. Denn was die falschen Worte, die Falschen Diagnosen und die falschen Behandlungen für fatale Folgen haben können, habe ich selbst schon erlebt und bekomme es auch von anderen Betroffenen gespielt. Die Geschichte von Jasmin (Namen geändert), hat mich ganz besonders berührt. Sie litt ebenfalls unter dem Willkie-Syndrom (der Zwölffingerdarm wird von Aorta und Bauchschlagader eingeklemmt), was lange Zeit niemand erkannte. Jasmin ist sehr viel jünger als ich und hatte schon mit 12 Jahren erhebliche Probleme mit dem Essen. Übelkeit und Magenschmerzen überkamen sie mit jedem Bissen. Die wohl wahrscheinlichste Diagnose war natürlich Magersucht, was sollte es auch anderes sein bei einem jungen dünnen Mädchen...Trotz Widerstandes von Jasmin selbst und ihren Eltern waren die Ärzte so überzeugt von ihrer Diagnose, dass sie in eine Kinderpsychatrie eingeliefert wurde. Weil Jasmin´s Eltern den Ärzten und Psychiatern nicht glauben konnten, drohte die Klinik sogar mit Entzug des Sorgerechts. Besuche und sogar Telefonate wurden Jasmin verwehrt, solange sie nicht die Kalorien zu sich nahm, die ihr Plan für sie vorsah. Mit dem Wissen, dass sich hinter dem Magen eine Engstelle befindet, die den Nahrungstransport verhindert, ist dieses Vorgehen für mich persönlich psychische und physische Misshandlung. Ich kann mir gar nicht vorstellen, welche Ängste ein 12 jähriges Mädchen überkommen müssen, wenn sie gegen ihren Willen, alleine in einer Klinik festgehalten wird und solche Schmerzen ertragen muss. Da sie weiterhin an Gewicht verlor, legten die Ärzte ihr eine Magensonde, die logischerweise ein größeres Risiko darstellte, als das sie eine Hilfe war. Jasmin erzählte mir, dass sie ein regelrechtes Trauma aus dieser Zeit erlitt. Unter anderem konnte sie vor Angst ihre Eltern zu verlieren, nicht mehr alleine schlafen und litt unter schlimmen Alpträumen. Erst Jahre später, erkannte ein Arzt die wahre Ursache des Problems. Jasmin wurde auch von Dr. Incredible operiert, kann heute ihr Essen wieder genießen und hat überlebt. Doch nicht nur die Operation, auch die grausamen Erfahrungen mit Ärzten und Psychiatern hinterlassen körperliche und seelische Narben, die hätten verhindert werden können. Niemand kann alleine "die Welt retten" und vielleicht sind meine Vorstellungen auch utopisch. Aber durch das Erzählen dieser Geschichten, hoffe ich etwas verändern zu können.
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