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Mittwoch, Tag 2

Aktualisiert: 15. Juni 2023

Die erste Nacht auf der Station für Gefäßchirurgie war erstaunlich ruhig, obwohl die Krankenschwestern ständig meine Infusionen wechselten. Ich lag zwar auf einem Dreibettzimmer, aber zu meinem Erstaunen schnarchte niemand. Gegenüber von mir lag eine Frau, die uns schon am nächsten Tag wieder verließ. Dafür wurde Maria eingeliefert, eine nette alte Dame, die sich rund um die Uhr um andere kümmerte und sich dabei manchmal selbst vergas. Neben mir lag eine 102 Jährige mit einem Oberschenkelhalsbruch. Als ich Mittwoch Morgen aufwachte hörte ich sie mit ihrem 80 jährigen Sohn telefonieren. Sie erzählte ihm, dass sie gleich operiert werde, damit sie bald wieder alleine laufen kann. Wenn ich irgendwann auch krumm und schrumpelig bin, dann möchte ich immer noch mit einer solchen Lebensenergie durchs Leben gehen. Mittwoch war der erste Tag, an dem ich wieder bei halbwegs klarem Verstand war. Deshalb nahm ich mein Handy in die Hand, um ein Lebenszeichen von mir zu geben. Das hatte ich ursprünglich für Montag Abend geplant, allerdings war mir bis dato nicht bewusst, wie man sich nach so einer Operation fühlt. Das führte bei Einigen zur Verwirrung, weshalb plötzlich Mamas Handy vor besorgten Nachrichten nur so glühte. Allmählich setzte das Durstgefühl ein. Ich trank nun nicht mehr nur zum Runterspülen der Schmerzmittel, sondern auch um von der Infusion loszukommen. Am Nachmittag traute ich mich das erste Mal nach der Operation etwas zu essen, einen Vanille Jogurt. Dabei hatte ich heftige Bauchschmerzen, als würde ich den Jogurt spüren, wie er Darmschlinge für Darmschlinge nach unten rutscht. Von Appetit, geschweige denn von Hunger, konnte zwar nicht die Rede sein, aber irgendwann muss man ja anfangen. Dr. Incredible kam wie versprochen jeden Tag mindesten zwei mal nach mir sehen. Auch der Chefarzt kam ein paar mal vorbei. Die ersten Tage bewegte ich mich nicht aus dem Bett. Mir tat vom Liegen zwar der Rücken mindestens genauso weh, wie der Bauch, aber Aufstehen schien mir keine Option zu sein. Doch das sah Dr. Incredible offensichtlich anders: "Es ist Zeit aus dem Bett zu kommen." Ich guckte Ihn mit großen Augen an, während ich gleichzeitig dachte: Bitte nicht, die Schmerzen sind zu groß. Drei Sekunden später stand ich, dank seiner und der Hilfe zweier Krankenschwestern. Gekrümmt, wackelig und mit Tränen in den Augen. Mir blieb der Atem weg. Wenn ich die Kraft gehabt hätte, hätte ich geschrien. "Siehst du, geht doch!", motivierte mich Dr. Incredible, während er mich festhielt. In diesem Moment kehrte mein Kampfgeist zurück. Ich begriff, dass ich nun für mich selbst verantwortlich war, wenn ich schnell wieder auf die Beine kommen wollte. Jeden Tag halfen mir zwei Krankenschwestern aus dem Bett heraus und wieder hinein. Dabei stütze eine der beiden meinen Rücken, während die andere gleichzeitig meine Beine aufstellte. Da ich sitzend im ersten Moment kaum atmen konnte, stellte ich mich sofort hin. Das gleiche Prozedere brauchte es, um mich wieder ins Bett zu legen. Ins Liegen zurück zu kommen war sehr viel schmerzhafter, da die Dehnung der Narbe größer war. Es gab einen Krankenpfleger, der mich besonders sanft ins Bett legen konnte, denn er faltete mich wie ein Päckchen zusammen und legte mich dann ganz vorsichtig ab. Aber die Freude war nur von kurzer Dauer. Als mein Papa mich am Abend besuchen kam, saß ich in einem der Stühle. Ich zeigte ihm meinen Lungentrainer und pustete ein paar Mal hinein. Nach einer Bauch Operation ist die Atmung sehr flach. Um wieder tiefer ein- und ausatmen zu können, sollte ich jede Stunde den Lungentrainer benutzen, um Komplikationen vorzubeugen. Das Pfeifen, das beim Pusten entstand, wurde von Tag zu Tag lauter und hielt länger an. Als ich nicht mehr sitzen konnte, klingelte ich nach einer Schwester. Diese war der Überzeugung, dass ich es mit ihr alleine zurück ins Bett schaffen konnte: "Wir zwei machen das jetzt so, wie Sie das mit der Physiotherapeutin auch machen würden. Ich kippe Sie jetzt um und Sie rollen sich über den Arm ab." Ich saß auf der Bettkante. Papas Hilfsangebot wurde einfach ignoriert und gerade, als ich "Nein!" schrie, kippte sie mich um. Eine Sekunde später lag ich heulend im Bett und war mir sicher, dass meine Narbe der Länge nach aufgerissen war. Mein Papa sah aus, als hätte er gerade den selben Schmerz erlitten. "Super, so machen wir das jetzt immer.", freute sich die Schwester und verlies zufrieden das Zimmer. Für diesen Tag war das mein letzter Ausflug aus dem Bett. Ich wartete mit dem Aufstehen bis zum nächsten Morgen, also bis zum nächsten Schichtwechsel. Am Abend gab es wie immer eine Thrombosespritze. Der Krankenpfleger stand mit der Spritze vor mir und fragte: "In den Bauch oder ins Bein? Ich antwortete erschrocken: "Auf keinen Fall in den Bauch, überall hin, aber nicht in den Bauch." Dann wurde er von einer anderen Krankenschwester an gestupst: "Ihr wurde der ganze Bauch aufgeschnitten, wie kannst du sie das fragen!" So bekam ich die Spritze in den Oberschenkel und wurde nie wieder danach gefragt.



 
 
 

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