Meine Sonnenbrille
- Ina Luzia
- 8. Juli 2024
- 3 Min. Lesezeit
Diese Woche werde ich zum ersten Mal -seit mehr als zwei Jahren- nicht zu meiner Therapeutin fahren. Meine Psychotherapie ist abgeschlossen. "Damit bin ich auf mich allein gestellt", sagte ich mit einer leicht verunsicherten, aber trotzdem fröhlichen Stimme während der letzten Therapiestunde. Auch wenn es sich im ersten Moment so anfühlt, ist es in Wahrheit ganz anders. Denn in den letzten Jahren konnte ich mir ein Sicherheitsnetz von Menschen aufbauen, die mich jederzeit auffangen. Auffangen bevor ich noch mal in das Loch der Depression falle. Eine Depression ist für mich etwas total kurioses, denn man merkt erst, wie krank man ist, wenn man es nicht mehr ist. Es ist ein schleichender Prozess. Man bekommt eine Brille aufgesetzt, die zunächst noch durchsichtig ist. Mit der Zeit färben sich die Gläser nach und nach dunkler. Doch immer so, dass man sich an die Dunkelheit gewöhnen kann. Jeden Gedanken, den ich fasse, durchdringt die Brille und gaukelt mir vor, er spiegle die Realität. Dass die Realität eine völlig andere ist, wird durch die Brille von mir ferngehalten. Das macht es so schwer zu verstehen, dass man krank ist. Zwar spürt man irgendwann, dass es immer schwerer fällt morgens aufzustehen, das Haus zu verlassen, Gefühle zu empfinden. Aber es wird zur Normalität. Jede Kleinigkeit strengt an und verleitet dazu die weiße Fahne zu hissen. Die Frage danach, wie es einem geht, löst einen Wasserfall von Tränen aus. Und selbst, wenn ich allein bin und über mein Leben nachdenke, kann ich die Tränen nicht zurückhalten. Es fällt schwer positive Emotionen zu fühlen. Und irgendwann empfinde ich auch keine negativen Gefühle mehr. Ich spüre nichts als Anstrengung. Anstrengung, die mir jeglichen Lebenshunger nimmt. Und das ist die Brücke zu meiner chronischen Erkrankung. Denn sie raubt mir den Hunger auf Essen und den Durst zu trinken. Wie auch bei meiner Depression habe ich mich an den Zustand gewöhnt und mein Leben daran angepasst. Doch irgendwann funktioniert das nicht mehr. Ich stehe vor einer Entscheidung: Leben oder aufgeben. Ich wählte das Leben. Mein Leben gehört mir und das lasse ich mir nicht wegnehmen, von nichts und niemandem. Ich glaube, dass das der ausschlaggebende Punkt für den Erfolg einer Therapie ist. Entscheiden wir uns dafür das Beste aus dem zu machen, was wir haben oder geben wir uns geschlagen? Mein größtes Problem war es meine chronische Erkrankung zu akzeptieren. Ich wollte mich nicht damit zufriedengeben, dass das mein Schicksal sein sollte. Es musste doch eine Lösung geben gesund zu werden. Doch bis heute gibt es keine Behandlung, die mich gesund machen kann. Das soll nicht heißen, dass es diese niemals geben wird. Aber die Welt dreht sich weiter, auch mit schwerem Päckchen auf den Schultern. Es hat lange gedauert zu verstehen, dass ich nicht darauf warten kann, dass es mir besser geht. Ich musste lernen mit meiner Erkrankung zu leben. Ich sage nicht, dass das einfach ist, aber ich sage, dass es machbar ist. Machbar, solange man dafür kämpft. Eine Therpapie ist Arbeit. Ich habe über jede einzelne Therapiesitzung noch einmal Zuhause nachgedacht, wichtige Gedanken und Erkenntnisse notiert und mit meinen Eltern oder Annika darüber gesprochen. Dass ich mein Umfeld miteinbezogen habe, war das Beste, was ich hätte machen können. Denn als depressiver Mensch hat man das Gefühl, allein zu sein. Niemand scheint zu verstehen, was in einem vorgeht. In dem wir aber offen darüber sprechen und verstehen, was uns hilft, können wir gemeinsam wachsen und uns weiterentwicklen. Oft ist es so, dass Menschen mit einer Depression Schritt für Schritt gesund werden. Bei mir war das anders. Es war als hätte sich ein Schalter umgelegt. Von jetzt auf gleich konnte ich die Sonnenbrille abnehmen und die Welt sehen, wie sie ist. Seit dem fühle ich mich, wie ein anderer Mensch. Dieses Gefühl ist schwer in Worte zu fassen. Ich kann nur sagen: Mein Lebenshunger ist zurück, auch wenn Magen und Darm ab und zu was anderes sagen. Wenn mir davon erzählt wird, was ich noch vor ein paar Monaten gesagt habe, dann erkenne ich mich selbst nicht wieder. War das wirklich ich? Oder verwechselt man mich gerade? Lese ich alte Texte oder Notizen von mir, dann kann ich kaum glauben, was ich da geschrieben habe. Es ist wirklich so, als hätte man einen Filter entfernt, sodass ich nun das Originalbild sehen kann. Trotzdem hat ein kleiner Teil in mir Angst vor einem Rückfall. Besonders im Hinblick auf die Entwicklung meiner chronischen Erkrankung. Deshalb schreibe ich unter anderem diesen Block. Ich möchte mich daran erinnern, was ich geschafft habe und Euch gleichzeitig damit inspirieren. Im nächten Beitrag werde ich meine Learnings festhalten und bin gespannt, ob ihr mich wiedererkennt oder genau so verwundert seid, wie ich es war.

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