Magenschrittmacher
- Ina Luzia
- 24. Mai 2023
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 15. Juni 2023
Ich stehe am Waschbecken, ziehe mein OP Hemd aus und schaue in den Spiegel. Wer ist das? Ich sehe eine junge Frau, ihr Gesicht, ihr Bauch und ihr Rücken aufgedunsen. Sie scheint irritiert zu sein. Fast so als wüsste sie nicht, wer da im Spiegel zu sehen ist. Sie fasst sich an die linke Seite ihres Bauches und fühlt etwas Hartes. Ich bin das. Ich bin es tatsächlich, die sich selbst nicht mehr wieder erkennt. Manchmal brauche ich einen Moment, um zu realisieren, dass das mein Leben ist. Ich bin es, die zum zweiten Mal operiert worden ist und nun ein rundes Gerät unter der Bauchdecke trägt. Vor einer Woche noch spielte ich mit dem Gedanken, die Operation doch abzusagen. Ich verbrachte das Wochenende bei meiner besten Freundin in München und hatte das Gefühl, nicht derart krank zu sein, dass eine Magenschrittmacher-Implantation nötig wäre. Niemals hätte ich einen Rückzieher gemacht, denn dafür war ich dann doch zu entschlossen gewesen. Aber der Gedanke drängte sich mir auf. Umso größer war der Schock darüber, wie schlecht es meinem Magen tatsächlich ging. Der Tag der Aufnahme startete besser, als ich angenommen hatte. Nach dem ich das EKG bekam, sollte mir der Zugang gelegt und Blut abgenommen werden. Ich erwähnte, dass das in der Vergangenheit manchmal (das war gelogen: immer) zu Problemen geführt hatte. Deshalb bat ich die Schwester mir den Zugang an der rechten Hand mit einer blauen kleinen Kanüle zu legen. Doch Schwester Nelli, eine Fachkraft im Ruhestand, die nur in Notfällen ins Krankenhaus gerufen wurde, war von der Vene im Arm überzeugt. Sie fragte mich, ob ich ihr vertrauen würde. Ich antwortete mit einem "nein", war aber trotzdem mit einem Versuch einverstanden. Und es funktionierte. Ich sagte Schwester Nelli, dass ich ab sofort nur noch sie an meine Venen lassen würde, falls ein neuer Zugang nötig werden würde. Sie versicherte mir, dass sie auch auf Station kommen würde, wenn etwas sein sollte. Im Anschluss sprachen wir mit einer Assistenzärztin über den Eingriff. "Ich habe leider keinen offiziellen Aufklärungsbogen, da die OP erst einmal gemacht wurde.", sagte die Ärztin mit lilafarbenen Locken. Ich sah sie schockiert an und fragte sie: "Nur EINMAL?!" Ich schien sie nervös gemacht zu haben, denn sie ruderte hektisch zurück und korrigierte, dass sie diese OP erst einmal seit ihrer Assistenzzeit erlebt hatte. Das klang für mich schon etwas beruhigender, zumal ich wusste, dass es sich dabei um Sarah handeln musste, bei der alles gut verlaufen war. Eigentlich sollten wir nach dem Aufklärungsgespräch sofort zur Anästhesie. Doch Mama erklärte der Ärztin, dass ich noch nicht gefrühstückt hatte und das jetzt Vorrang hatte. Das hatte meine Mama toll eingefädelt, denn so konnte ich vor dem nächsten Gespräch in Ruhe in der Cafeteria frühstücken. Nach dem ich meinen Grießbrei gegessen hatte, meldeten wir uns bei der Anästhesie. Die Narkoseärztin versicherte mir, dass es ein nicht so großer Eingriff mit wenig Schmerzen sei. HA HA HA! Das sollte wohl ein Witz sein? Ich frage mich, ob das Verharmlosen einer OP als Beruhigungsstrategie für Patient: innen im Medizinstudium gelehrt wird? Wie auch immer...wir wissen wohl alle, dass Niemand, der eine solche Operation nicht hatte, das Schmerz-Level eines Patienten beurteilen kann. Nun kam ich auf mein Zimmer. Da meine Zimmerpartnerin gerade entlassen wurde, hatte ich die Nacht für mich allein. An dieser Stelle sollte ich erwähnen, dass es im gesamten Krankenhaus nur Ein- und Zweibettzimmer gab. Wichtig und Richtig! Am nächsten Morgen ging es früh los. Meine OP war die erste auf dem Plan und war für 7.30 Uhr angesetzt. Um 7.00 Uhr musste ich mich umziehen und bekam eine Bauchnabel-Reinigung, die schlimmste Reinigung meines Lebens. Dann wurde ich in den OP-Saal gebracht. Ich bekam eine warme Decke umgelegt, ein Haarnetz über den Kopf gestülpt und sollte mich auf eine spezielle Trage legen. Dort wurde mir eine Sauerstoffmaske aufgesetzt und nach ein paar tiefen Atemzügen das Narkosemittel gespritzt. "Frau Sievernich? Hallo, sie liegen schon 1,5 Std. hier. Sind sie wach?" Ich sollte eigentlich nach 30 min im Aufwachraum zurück auf die Station geschoben werden. Es hatte dieses Mal wohl ein bisschen länger gedauert, als erwartet. Im Zimmer wartete schon meine Mama. Ich kann mich nicht mehr an viel erinnern, da die Schmerzmittel wieder ziemlich hoch dosiert waren. Ich weiß aber noch, dass uns der Professor über den erfolgreichen Eingriff aufklärte. Was er in dem Gespräch gesagt hatte, musste ich die nächsten Tage erst mal sacken lassen. Denn mein Magen hat sich wohl fast gar nicht mehr bewegt. Erst als der Professor die Elektroden am Magenschrittmacher-Punkt annähte, begann mein Magen sich zu bewegen. Das war ein Schock für mich, denn ein paar Tage zuvor hatte ich mir noch Sorgen über die Notwendigkeit des Eingriffs gemacht. Wie lange hatte ich ohne den Schrittmacher schon überleben können; wie hat mein Körper das so "gut" wegstecken können und wie lange kämpfte ich schon gegen das Vorurteil "ich würde mir das alles nur einreden"! Wahnsinn! Das war der Beweis dafür, dass mein Bauchgefühl und vor allem das meiner Mama, all die Jahre lang richtig war. Der Professor erklärte uns auch, warum die drei Narben für die Geräte so weit unten im Bauchraum liegen. Das war der Größe und Lage meines Magens geschuldet. Dieser liegt nämlich so weit im Becken und ist so groß, dass der Nahrung- und Flüssigkeitstransport kaum noch möglich waren. Die letzte schockierende Nachricht an diesem Tag war, dass ich sehr viele Verwachsungen im Bauchraum hatte. Diese Adhäsionen stammen von der ersten Operation und haben sich im laufe der Zeit um meinen Darm geschlungen. Der Professor sagte, dass mein Darm, wie eine Marionette an den Verwachsungen aufgegangen war. Das konnte eine Ursache für meine Bauchschmerzen gewesen sein. Die Adhäsionen mussten weggeschnitten werden und können leider immer wieder kommen. Dadurch, dass der Darm nun mehr Platz hat, muss er sich neu positionieren, was leider im Moment für starke Schmerzen sorgt. Der Magenschrittmacher liegt mittig unter der linken Bauchdecke. Bislang sieht man ihn nicht richtig. Das liegt allerdings daran, dass mein Bauch und Rücken noch "aufgegast" sind. Denn bei einer Laparoskopie wird Kohlendioxid in den Bauchraum geleitet, damit die Operateure arbeiten können. Sobald das Gas komplett aus meinem Körper entwichen ist, wird man leider einen Kasten sehen. Die Umrisse kann ich so langsam erkennen und ich spüre den Schrittmacher von Tag zu Tag mehr. Ich kann noch nicht sagen, wie sehr er mir hilft, denn dafür ist es noch zu früh. Mein Bauch ist noch ziemlich stark gespannt und auch die Schmerzen sind noch unerträglich. Was ich aber schon festgestellt habe ist, dass ich mich auf kleine Portionen umstellen muss. Das predigen mir die Ärtz: innen zwar seit Jahren, aber seit Jahren funktioniert diese Art und Weise der Ernährung nicht für mich. Wie auch, wenn der Magen bislang wie ein Sammelbecken fungiert hat? Was ebenfalls neu ist, ist dass ich mich übergeben kann. Der Professor sagt, dass das ein gutes Zeichen sei, denn das zeigt, dass der Magen zu mindest schon mal eine Richtung wieder seine Arbeit aufgenommen hat. Nach dem Gespräch mit dem Professor bat ich meine Mama mich umzuziehen, da ich noch das OP-Hemd anhatte. Ich saß auf dem geschlossenen Toilettendeckel und meinen Mama wusch mir die Arme mit einem Waschlappen. Als ich würgen musste fragte sie mich, ob ich mich übergeben müsste. Ich verneinte, denn schließlich kann ich ja nicht kotzen. Falsch "KONNTE ich nicht kotzen". Zwei Sekunden später erbrach ich mich ins Waschbecken. Und mit dieser freudigen Botschaft endet mein erster Beitrag nach der Magenschrittmacher-OP.

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