top of page

Do und Fr, Tag 3&4

Aktualisiert: 15. Juni 2023

Die Nächte im Krankenhaus sind beinah anstrengender als der Tag, denn man kommt nie richtig zur Ruhe. Die Nachtlichter leuchten, irgendeiner muss immer auf die Toilette, die Nachtschicht kommt ständig rein, um die Infusionen zu wechseln und der Körper weis nicht mehr, wie er das Liegen ertragen soll. Ich war jeden Tag heil froh, wenn die Nacht vorbei war und die erste Schicht des Tages kam, um die morgendlichen Routineuntersuchungen zu machen. Donnerstag Mittag kam meine Mama zu Besuch. Wenn ihr euch wundert, warum das zu Corona-Zeiten möglich war, dann müsst ihr meinen Arzt fragen. Ich glaube, dass Oberärzte Besuche in bestimmten Fällen veranlassen dürfen. Das war ein echtes Privileg, denn außer mir bekam niemand Besuch. Ich freute mich sehr, als Mama da war, denn sie half mir beim Waschen am Waschbecken. Als ich mich gerade wieder frisch fühlte, wurde ich in einem Rollstuhl zum Ultraschall gefahren. Das Hinlegen auf die gerade Liege fiel mir sehr schwer. Auf dem Ultraschall sah alles gut aus. Meine Narbe konnte ich nicht sehen, nur ein ziemlich langes Pflaster. Zur Unterstützung der Narbe sollte ich nun eine Korsage tragen. Dann wurde mir endlich der Blasenkatheter entfernt. Doch als ich anschließend nicht mehr alleine Wasser lassen konnte, wurde er wieder gelegt. Dabei hatte der Tag so schön begonnen. Zu allem Übel hatte mein Darm seit der Operation einen Streik angekündigt. Weder Infusionen, noch Zäpfchen konnten ihn überzeugen seine Arbeit wieder aufzunehmen. Also bekam ich dann auch noch einen Einlauf verpasst. "Sie haben aber heute das ganz große Los gezogen", sagte ich zu der Krankenschwester, die ich den ganzen Tag auf Trab hielt. Sie lachte und erzählte mir von sehr viel schlimmeren Arbeitstagen. So schlimm der Tag auch gewesen ist, ich konnte ihn positiv beenden, da ich in der Nacht das erste Mal selbstständig das Bett verlassen konnte. Am nächsten Morgen schlich ich ganz alleine ins Badezimmer, um mich zu waschen. Mir konnte auch der Blasenkatheter gezogen werden. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, was mir in diesem Moment für ein Stein vom Herzen gefallen ist. Der Chefarzt war an diesem Tag auch bei mir und erklärte, dass solche Abwehrreaktionen normal sind: „Ich habe noch nie jemanden normal auf Toilette gehen sehen, nachdem der Katheter gezogen wurde. Und auch der Darm braucht seine Zeit, bis er nicht mehr beleidigt ist. Sie müssen jetzt ganz viel Geduld haben.“ Einerseits war ich beruhigt darüber, dass das alles nichts ungewöhnliches war. Aber das Wort Geduld ist mir immer noch ein Dorn im Auge. Um die Dränage zu ziehen, also den Schlauch in den das Blut aus der Wunde abfließt, kam der Oberarzt höchst persönlich vorbei. Ich fragte, ob es weh tun würde. Dr. Incredible sagte: „Ja sehr. Deshalb nimmst du jetzt deinen Teddybären und drückst ihn so feste, wie du nur kannst." Dann löste er das Pflaster, schnitt die Nähte auf und sagte: „Und jetzt ganz tief einatmen." Ich versuchte seinen Anweisungen zu folgen. "Noch tiefer. Noch tiefer.“ Dann zog er den Schlauch bis zur Hälfte aus meinem Bauch. Ein zweites Mal tief einatmen und die Dränage war raus. Ich hatte es mir schlimmer vorgestellt, aber das war wahrscheinlich der Grund dafür, warum Dr. Incredible mir vorher Angst gemacht hatte. Er zeigte mir das blutige Schlauchende, das direkt an der Aorta gelegen hatte und lachte: „Ja ja was die Gefäßchirurgen so alles können.“ „Ihre Patienten quälen.“, entgegnete ich. Dann lachten wir. Wir lachten und als er weg fing ich an zu weinen. Denn die Schwester, die beim Ziehen der Dränage meine Hand hielt, wechselte mein Pflaster und ich sah zum ersten Mal meine Narbe. Eigentlich wusste ich, wie groß sie sein wird. Aber als ich tatsächlich meinen grün-blau gefärbten Bauch und diesen langen Faden in meiner Bauchdecke sah, war mir nicht mehr nach Lachen zu Mute. Außer meinen Eltern und mir, waren alle meine Freunde und Verwandten von der Operation begeistert. Schließlich schien mein Leiden ein Ende zu haben. Allerdings waren sie sich nicht über die Schwere der Operation bewusst. Warum meine Eltern und ich diese Euphorie nicht in diesem Maße teilen konnten, verstanden sie erst, als ich ihnen ein Foto der Narbe zeigte. Freitag war der erste Tag, an dem ich mich für Telefonate bereit fühlte. Ich hörte immer und immer wieder das Gleiche: "Oh Ina, ich hätte nicht gedacht, dass deine Narbe sooo groß ist." Als hätte ich das nicht andauernd gesagt... Um mich auf schönere Gedanken zu bringen, schaltete ich die Musik ein und begab mich auf eine Traumreise. Ich stellte mir vor, ich würde auf unserem Boot liegen, das Mittelmeer um mich herum rauschen hören und warme Sonnenstrahlen in meinem Gesicht spüren. Als mich die Krankenschwester aus meinem Traum riss und mich an die Einnahme des Hydromorophons erinnerte, lehnte ich ab. Ich wollte nur noch Novalgin nehmen, um meinen Darm nicht mehr so stark zu belasten. Das war mein Friedensangebot an ihn. Die 102 Jahre alte Dame hatte die Operation übrigens gut überstanden und aß schon wieder eigenständig Zwieback, wobei Ihre Hand auf dem Weg in Richtung Mund bebte. Einen Tag später wurde sie von zwei Sanitätern abgeholt und in eine Rehabilitationsklinik gebracht. Ich war etwas traurig, als sie nicht mehr da war, denn eine so ruhige und liebe Zimmernachbarin hat man selten.




 
 
 

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen
Kartoffeln zum Frühstück?

Falls ihr jetzt Fragezeichen im Kopf habt, dann geht es euch wie mir. Am Dienstag hatte ich meinen jährlichen Kontrolltermin für den...

 
 
 

Comments


Beitrag: Blog2_Post

Ina Lu bloggt

bottom of page