Die Popcorn Socken
- Ina Luzia
- 17. Jan. 2021
- 4 Min. Lesezeit
Freitag Morgen, als Mama und ich gerade auf dem Weg zur Klinik waren, rief mich Dr. Incredible an. "Ich wurde zu einer Notfall-OP in ein anderes Krankenhaus gerufen. Wir müssen leider alles Sonntag Abend besprechen, aber die Voruntersuchungen und das Narkosegespräch können Sie trotzdem heute machen. Das tut mir wirklich Leid.", entschuldigte er sich. Ich hatte mich zwar gefreut meine 13 Hundert Fragen beantwortet zu bekommen, aber die laufen mir ja nicht weg. Nach der Anmeldung und dem ganzen Papierkram bekam ich eine blaue Mappe mit einem Laufzettel in die Hand gedrückt. Ich fragte noch nach Unterlagen zu der OP, denn vielleicht hätten diese mir schonmal ein paar Fragen beantworten können. Aber die Schwester sagte, dass es für so einen speziellen Fall keine allgemeine Aufklärung gibt. Sie fuhr weiter fort: "Normalerweise machen wir das mit den Voruntersuchungen und der Aufnahme hier ganz anders. Aber der Oberarzt hat es in Ihrem Fall so angeordnet." Plötzlich rief mich mein Gastroenterologe an. Ich befürchtete schon, er würde mir die OP ausreden wollen. Aber das einzige was er sagte war: "Ich wünsche Ihnen viel Glück für die OP." Das war es. Keine Fragen und keine Anmerkungen. Vielleicht hatte ich ihm mit meinem Alleingang auf den Schlips getreten. Aber was blieb mir anderes übrig? Dann wurde der erste Punkt auf der Liste abgehakt, die Blutabnahme. Danach ging es mit dem EKG weiter. Als ich alle Stationen auf meinem Laufzettel abgehakt hatte, kam mich die Schwester abholen und brachte mich auf die Intensivstation. Dort sollte ich das Gespräch mit dem Narkosearzt führen. Die Schwester war sich aber nicht sicher, ob die Station Bescheid wüsste, schließlich war das alles an dem Tag die reinste Ausnahme. Der Narkosearzt fragte mich gleich am Anfang, ob ich aufgeregt wäre. Ich antwortete ganz entspannt: "Nein, die Aufregung kommt bestimmt erst Sonntag Abend." Dann stellte er mir die üblichen Fragen nach Vorerkrankungen, Allergien, etc. Während er den Narkosebogen ausfüllte, schaute ich auf seine weißen Schuhe. Er trug hellblaue Socken, auf denen bunte Popcorn-Tüten abgebildet waren. Die Socken haben mich tatsächlich etwas abgelenkt, aber als er sagte: "Öffnen Sie mal bitte Ihren Mund." war ich wieder bei ihm. Dann kam er zum ernsten Teil des Gesprächs. Er erklärte mir den Ablauf der OP: "Zunächst legen wir Ihnen am Handrücken einen Zugang. Wenn Sie dann schlafen, werden wir Ihnen die anderen Zugänge legen. Einen weiteren im Arm, um den Blutdruck überwachen zu können." Ich fragte Ihn, ob dieser Zugang die bekannte Zick-Zack-Linie darstellt, die schnurgerade wird, wenn man stirbt. Er nahm mein EKG zur Hand und erklärte mir, dass dieser Vorgang auf dem EKG abgezeichnet wird. Er legte seine Finger auf die Spitzen der EKG-Linie und sagte: "Wenn die Spitzen nicht da wären, dann wären Sie tot." Er fuhr fort: "Wir legen Ihnen noch zwei Schläuche in den Hals, die uns einen direkten Zugang zu den Hauptschlagadern geben. Der eine Schlauch ist für die Gabe der Schmerzmittel und mit dem anderen können wir Ihnen im Notfall eine Bluttransfusion geben." Ich hatte wohl einen Gesichtsausdruck, der Ihn dazu bewegte mich zu besänftigen: "Keine Sorge, das gibt zwar noch zwei weitere Narben, aber das dient alles Ihrer Sicherheit. Und wenn Sie die Haare so tragen wie jetzt, fällt es keinem auf." Ich musste etwas schmunzeln und hörte weiter zu: "Da während einer Vollnarkose die Atmung aussetzt, bekommen Sie noch einen Sauerstoffschlauch in den Hals. Nach der Operation bleiben Sie für mindestens 1 Tag auf der Intensivstation, damit wird Sie rund um die Uhr überwachen können. Der Oberarzt wird Sie alle 2 Stunden kontrollieren." Ich schluckte und sagte: "Jetzt habe ich doch Angst." Der Narkosearzt versuchte mich zu beruhigen: "Ich kann Ihre Ängste verstehen, es wird schon eine große Bauchoperation werden, die nicht alle Tage durchgeführt wird. Aber Sie sollten nicht mit Angst darein gehen, sie haben beste Voraussetzungen die OP gut zu überstehen." Ich konnte ja nur mit einer positiven Einstellung darein gehen. Zum einen, weil der Körper dadurch stärker ist und zum anderen, weil es sinnlos wäre sich das Worst-Case-Szenario auszumalen. Nachher prophezeit man sich noch selbst ins Unglück. "Sie müssen wissen, bei Ihnen ist das gute, dass der Chirurg Ihre Aorta und Bauchschlagader in den Händen hält. Wenn es mal blutet, dann setzt er einfach eine Klammer und das Problem ist gelöst." Meine Kinnlade rutschte eine Etage tiefer und mein Kopfkino lief auf Hochturnen. "Das hört sich jetzt alles ziemlich gefährlich an, aber das dient nur Ihrer Sicherheit.", wiederholte er. Er versuchte mich weiterhin zu beruhigen und erklärte mir, dass auch Menschen in einem viel schlechteren Gesundheitszustand operiert werden und alles komplikationslos verläuft. Als er mir die Unterlagen kopierte, blickte ich auf einen Ordner, der auf der Seite lag. Er war weiß-türkis gefärbt und trug die Aufschrift: Einführung in die Organtransplantation. Ich musste daran denken, was Ärzte für einen unglaublichen Job machen. Sie lernen jahrelang die Theorie und am Ende haben sie dann ein Menschenleben in der Hand. Als ich dort saß, unmittelbar vor meiner Operation, fühlte sich alles so real und trotzdem unbegreiflich an. Als alle Punkte auf dem Laufzettel abgehakt waren, sollte ich meine Patientenakte auf der Station abgeben. Ich schob den Schwestern meine Akte unter der Glasscheibe hindurch: "Dankeschön, dann sehen wir uns Sonntag um 10Uhr zur Aufnahme." Da ich mir sowie so schon wie die Prinzessin auf der Erbse vorkam, erwiderte ich: "Der Oberarzt sagte mir aber, dass 18Uhr reichen würde." Die Schwester wollte mir nicht glauben, rief den Doktor an und drückte mir den Hörer in die Hand. Er steckte gerade in der Notfall-OP, aber das hielt ihn von einem Telefonat nicht ab: "Es genügt, wenn Sie am Sonntag erst um 18Uhr hier sind. Dann führen wir in Ruhe das Aufklärungsgespräch." Ich bedankte mich, gab der Schwester ihren Hörer zurück und verabschiedete mich.
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