Die letzten 2 Tage
- Ina Luzia
- 14. März 2021
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 15. Juni 2023
Dr. Incredible hatte mir hoch und heilig versprochen, dass ich Dienstag das Krankenhaus verlassen darf und das lies ich mir unter keinen Umständen nehmen. Montag begann der Countdown, meine Vorfreude war groß. Doch wie das leider so ist, desto schneller man ins Ziel laufen möchte, desto länger fühlt sich die Zielgerade an. Ich brauchte Ablenkung, also lief ich am Montag bereits in mehreren Etappen über den Flur und nahm beinah eine gerade Haltung an, ohne dabei meinen Bauch festzuhalten. Ich traute mich sogar meine Arme vorsichtig zu kreisen. Ansonsten ist nichts aufregendes passiert. Außer, dass meine Zimmernachbarin Maria eine Fremd- und Eigenbluttransfusion für ihre anstehende Operation ablehnte, da sie Zeugen Jehovas ist und Gott das laut ihr nicht so vorgesehen hat. Ich war erstaunt, wie weit ein Glaube reichen kann. Aber wie ich immer sage: "Leben und leben lassen." Umso mehr hoffte ich, dass die Operation ohne Komplikationen verlaufen würde. Dienstag, der letzte Tag, begann mit der Narbenkontrolle vom Chefarzt und einem Pflasterwechsel. Danach machte ich mich im Badezimmer "frisch" für Zuhause. Es dauerte sehr lange, aber es gelang mir meine Beine mehr oder weniger gut zu rasieren, sie abzuduschen und einzucremen. Als ich mich anzog sah ich meinen Körper zum ersten Mal vollständig im Spiegel. Ich war schockiert über meine Silhouette. Sogar die Jogginghose in Größe xxs schlabberte am Hintern und meine Rippen stachen hervor. Ich fühlte mich sehr unwohl und bedeckte mich schnell mit mehreren Lagen an Pullovern. Kurz darauf kam schon eine Krankenschwester mit meiner Krankenakte und schickte mich runter zum MRT. Meine Akte kam mir ungeheuer schwer vor und auf dem Weg in die Radiologie brauchte ich einige Pausen. Ich hatte keine Angst, aber das Spritzen des Kontrastmittels ist jedes Mal aufs neue ziemlich unangenehm. Dieses Mal gab es aber keine Probleme, als das Wasser hinterher gespritzt wurde. Das hatte laut dem Radiologen beim letzten Mal zum Platzen der Vene geführt. Als die Bilder fertig waren, zeigte mir der Radiologe den Vergleich von vorher zu nachher. Er war begeistert, denn nun konnte man sogar den Zwölffingerdarm auf dem Bild erkennen. Vor der Operation war er wohl so stark eingequetscht, dass er auf dem Bild nicht zu sehen war. Nun wartete ich auf Dr. Incredible, der nach seiner letzten Operation in der Privatklinik, nur für meine Entlassung noch mal nach Duisburg ins Krankenhaus fuhr. Er war gegen 18Uhr da, aber Mama steckte noch im Stau. Da es ihm wichtig war, dass auch Mama am Abschlussgespräch teilnimmt, wartete er. Als Mama mit einer großen Tüte voll Geschenken für die Krankenpfleger und -schwestern sowie für den Weltbesten Doktor im Zimmer ankam, schrieb ich noch schnell ein paar nette Worte in die Dankeskarten. Dann erklärte Dr. Incredible, was auf dem letzten MRT Bild zu sehen war. "Durch die Prothese konnte der Winkel von 9 auf 38 Grad vergrößert werden. Die Narbe sieht sehr gut aus, aber bis die Fäden gezogen sind, muss die Narbe mit dem Pflaster bedeckt bleiben. Duschen ist kein Problem, das Pflaster muss danach nur gewechselt werden. Hast du sonst noch Fragen?" Ich fragte, wann ich wieder Sport machen darf. 3 Monate war seine Antwort. Als ich aber nachfragte, wie es mit Reiten aussieht, korrigierte er sich: "Reiten? Frühestens nach 6 Monaten!" Ich war damals ziemlich schockiert darüber, heute kann ich es verstehen. Noch am gleichen Abend genoss ich eine warme und lange Dusche. Meine Mama machte mir nach unschätzbarer Zeit mal wieder Bratkartoffeln mit Spiegelei. Zuhause zu sein fühlte sich an, wie der Himmel auf Erden. Obwohl ich nur insgesamt 10 Tage im Krankenhaus war, fühlte es sich an, wie mindestens 4 Wochen. Während ich die letzten Kartoffeln auf die Gabel pikste, wurde mir plötzlich leicht übel. Aber es war keine wirkliche Übelkeit, es war das beinah unbekannt gewordene Sättigungsgefühl, dass auf einmal zurück war. Plötzlich sagte mir mein Körper, wie viel ich essen kann und nicht die abgewogene Mahlzeit auf meinem Teller. Was aber ziemlich komisch war, war meine Abneigung gegenüber den Lebensmitteln, die ich vor der Operation Tag täglich gegessen hatte. Der Appetit ließ lange auf sich warten, weshalb ich mich hauptsächlich von Kakao, Tomatensuppe und Toastbrot ernährte. Erst nach ein paar Wochen hatte ich plötzlich wieder Appetit auf Jogurt mit Blaubeeren, Zimt und Pekannüssen. Es war beinahe ein Meilenstein, denn auch der Appetit auf Schokolade und Bananen kam plötzlich zurück. Im Oberbauch verschwanden die Probleme und Schmerzen recht schnell, aber mein Darm tut sich bis heute mit der Umstellung schwer. Ich bin immer noch abhängig von Abführmitteln, die mal mehr und mal weniger gut helfen. Manchmal ist es wie früher, wenn mein Bruder und ich uns am rohen Plätzchenteig vergriffen hatten und unsere Bäuche anschließend wie Luftballons aussahen. In den ersten drei Wochen nahm ich noch häufig Novalgin. Anfangs zwei mal täglich, dann nur noch zum schlafen und irgendwann nur noch bei Bedarf. Die schlimmsten Schmerzen hatte ich beim Schlafen und morgens beim Aufstehen. Ich bin normalerweise ein Bauchschläfer. Das Schlafen war also seit der Operation eine große Umgewöhnung gewesen. Meine Mama hatte mir extra ein Stillkissen gekauft, da ich mein Bett ja nicht wie im Krankenhaus verstellen konnte. Trotzdem war es in den ersten Wochen ziemlich schwer, eine geeignete Schlafposition zu finden. Flach auf dem Rücken spannte die Narbe zu stark und auf der Seite war es nur mit einigen Kissen um mich herum und unter meinem Brustkorb zu ertragen. Ganz komisch war das Aufstehen. Anfangs bekam ich keine Luft, auch nicht im Sitzen, weshalb ich mich "schnell" hinstellte. Nach ein paar Tagen, holte mein Körper automatisch tief Luft beim Aufstehen. Ich konnte nicht anders, meine Lunge tat es einfach. Als ich Stand hatte ich dann so starke Schmerzen, dass ich Novalgin nehmen musste. Von Tag zu Tag wurden die Schmerzen aber weniger. Mir sagten die Ärzte vor der Operation, dass die Schmerzen jeden Tag ein bisschen besser werden. Ich daran glaubte ich nicht, als ich, bettelnd um Schmerzmittel, auf der Intensivstation lag. Aber die Ärzte hatten recht, es wurde wirklich JEDEN Tag ein kleines bisschen erträglicher. Auch jetzt, drei Monate nach der Operation, kommen jeden Tag Dinge hinzu, die wieder einfacher werden oder überhaupt wieder möglich sind.
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