Die ersten Tage Zuhause
- Ina Luzia
- 6. Apr. 2021
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 15. Juni 2023
Am Abend der Entlassung waren wir sehr spät zu Zuhause und nach der ganzen Strapaze fiel ich erstmal für 12 Stunden ins Bett. Deshalb schaffte ich es erst am nächsten Tag in den Stall. Ich wohne fast um die Ecke, aber da ich maximal 10 min lang gehen konnte, fuhr mich meine Mama mit dem Auto. Während der Fahrt spürte ich jede Delle in der Fahrbahndecke. Mit einer Möhre in der linken und mit der rechten Hand meinen Bauch stützend schlürfte ich zu "Piti". Ich rief einige Male und dann kam sie auf mich zu. Wie sehr ich mich gefreut hatte, lässt sich mit Worten gar nicht beschreiben. Die frische Stallluft in der Nase, das weiche Fell zwischen den Fingern und das Hufgeklapper in den Ohren. Jeder Reiter weiß, wovon ich spreche. In den ersten Wochen tat mir sogar vom Sitzen der Rücken weh, weshalb ich recht eingeschränkt war. Trotzdem ging ich jeden Tag ein paar Minuten an der frischen Luft spazieren. Jeden Tag ein kleines bisschen mehr, bis ich nach drei Wochen einen 3,4 km langen Spaziergang schaffte. Zugegebenermaßen im Schneckentempo. Aber Bewegung ist nicht nur für die Genesung wichtig, sondern auch für die Darmmotilität. Kurz vor Weihnachten entdeckte ich vor dem Schlafengehen einen Knubbel auf der Narbe. Ich konnte die ganze Nacht lang kein Auge zumachen, weil ich die Vorstellung wieder ins Krankenhaus zu müssen, nicht ertragen konnte. Am nächsten Morgen rief ich sofort Dr. Incredible an und beschrieb ihm meinen Befund. Er vermutete ein Blutgerinnsel und beruhigte mich. Es würde wahrscheinlich von alleine weggehen. Sollte es nach zwei Wochen aber noch da sein, dann sollte ich ihn erneut kontaktieren. Dafür gab er mir sogar seine private Handynummer, damit ich ihn auch bei anderen Notfällen immer erreichen konnte. Das war für mich unvorstellbar, denn bis dato kannte ich ja nur die ellenlangen Warteschleifen aus Hamburg. Ich hatte ja schon mal erzählt, dass ich aufgrund meines Bauchmonsters kein Fan von Familienfeiern bin. Schließlich sind diese immer mit viel zu viel Essen und zu vielen Fragen über meinen Gesundheitszustand verbunden. Nach der Operation hatte sich daran auch erstmals nichts geändert, da zwar das "Magenmonster" beseitigt war, mein Darm mir aber dafür so richtig die A-Karte zeigte. Ich muss bis heute regelmäßig Abführmittel nehmen, das aufgrund des Gewöhnungseffekts, nicht immer für Erleichterung sorgt. An Heiligabend kam wie immer die Familie zu Besuch. Dieses Jahr kamen, dank Corona, nur nicht so viele wie sonst. Das tut aber auch nichts zur Sache, da ich schon allein durch die Tatsache, dass Besuch kommt, gestresst bin. Oma und Opa waren bereits eingetrudelt, während ich noch mit Bauchschmerzen auf dem Sofa lag. Ich wollte zwar duschen, aber meine Beine wollten sich einfach nicht bewegen. Mein Papa merkte schnell, dass mir das alles zu viel war und setzte sich zu mir. Dann schauten wir zusammen eine Serie. Ich haderte mal wieder damit, ob ich noch einen Kakao trinken könnte oder ob das bis zum Abendessen zu viel wäre. Mein Papa ermutigte mich und so trank ich doch tatsächlich am Mittag noch einen Kakao. Das wäre vor der Operation kaum vorstellbar gewesen. Dieses Jahr konnte ich fast alles essen, was alle anderen auch auf dem Teller hatten. Während wir uns über die Serie amüsierten und ich meinen kleinen Zusammenbruch vergas, kamen auch mein Bruder und mein Cousin dazu. Ich konnte mich anschließend sogar aufraffen doch noch zu duschen und auch den Abend mit der Familie genießen. Der erste Weihnachtsfeiertag war dieses Jahr ganz nach meinem Geschmack, da wir zu keinen Verwandten mussten. Ich konnte essen wann und was ich wollte und ohne, dass mir jemand dabei zuschaut. Das mag jetzt für den ein oder anderen ziemlich bescheuert oder zumindest sehr verwunderlich klingen. Aber diese jahrelang antrainierten Verhaltensmuster, lassen sich nicht von heute auf morgen aufbrechen. Jetzt erst fällt mir auf, wie weit sich meine körperliche Erkrankung auf die Psyche ausgewirkt hat. Ich brauche zum Beispiel einen Apfel nur anzugucken und mein Kopf predigt mir: "Ina, Äpfel sind verboten, das vertragen wir nicht. Finger weg! " Dabei weiß ich, dass die Ernährungsumstellung mir früher wie heute keine Linderung verschafft hat. Mir ist also völlig klar, dass ich Äpfel problemlos essen könnte, aber trotzdem spielt mir mein Unterbewusstsein Streiche. Der Kopf schreit manchmal doch lauter als der Bauch. Ich dachte, der zweite Weihnachtsfeiertag würde genau so ruhig ablaufen, wie der der Erste. Doch am frühen Abend bekam ich plötzlich starke Oberbauchschmerzen, Atemnot sowie Stiche in Lunge und Magen. Die Schmerzen wurden trotz Einnahme von Novalgin so stark, dass ich mich kaum noch bewegen konnte. Meine Mama rief Dr. Incredible an, der uns zum Ultraschall ins Krankenhaus schickte. Sie durfte mich gerade mal bis zur Notfallaufnahme begleiten. Als mich die Schwestern in einen Untersuchungsraum brachten, musste sich Mama von mir verabschieden und bei Minusgraden über zwei Stunden lang im Auto warten. Was Mamas so alles mitmachen müssen... Erst wurden Fieber und Blutdruck gemessen, dann wurde mir Blut abgenommen, um die Entzündungswerte zu kontrollieren. Es wurde noch ein EKG gemacht und dann kam der Gefäßchirurg rein. Der Arzt sah kaum älter aus als ich, als hätte er gestern noch im Hörsaal der Universität gesessen. Eine gute halbe Stunde lang fuhr er mit dem Ultraschallgerät über meinen Bauch. Ich hatte keine freie Flüssigkeit im Abdomen und der Darm arbeitete wohl auch in die richtige Richtung. Aber mein Darm war wohl ziemlich voll und von sehr viel Luft gebläht. Um sicher zu gehen, holte er noch einen Internisten dazu. Ein scheinbar genauso junger Arzt spazierte durch die Tür und machte erneut einen Ultraschall. Die Schmerzen wurden wohl von der Passagestörung verursacht. Wenn der Darm so voll und gebläht ist, dann drückt er gegen das Zwerchfell und verursacht Atemnot und starke Schmerzen. Nach zwei einhalb Stunden wurde ich mit einem Beutel Movicol entlassen, das den Stuhl weich machen sollte. Da ich Dr. Incredible noch am gleichen Abend über die Ergebnisse informieren sollte, schrieb ich ihm gegen 23:00Uhr eine Nachricht mit den Befunden. Ich wollte ihn nicht noch mal anrufend Mama ihn wohl beim Essen erwischt hatte. Meine Schmerzen waren mittlerweile erträglich geworden, sodass ich schlafen konnte und am nächsten Morgen schmerzfrei in den nächsten Tag starten konnte.

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