Die Gratwanderung der richtigen Worte
- Ina Luzia
- 9. März 2023
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 26. Apr. 2023
Ich stehe in der Küche. In der rechten Hand ein Messer, in der linken Hand eine Möhre haltend, kreisen meine Gedanken um genau diese Möhre. Sie ist Teil meines Abendessens. Ein Abendessen bestehend aus einer Scheibe Toast, belegt mit Mayo und einem hartgekochten Ei; einer Möhre; einer halben Paprika; einem Stück Gurke und etwas Kräuter-Frischkäse. Nachdem ich mich mit einer Portion Grießbrei, einer Hand voll Blaubeeren, einer Tasse Kaffee und einer Tasse Tee (die Tasse Tee hat nur den Weg in meinen Magen gefunden, weil mir sonst der Kreislauf abhanden gekommen wäre) über den Tag gebracht hatte, erschien mir dieses Abendessen, das einzig machbare zu sein. Während ich also dabei bin die Möhre in ungleichmäßig dicke Streifen zu schneiden, denke ich: Was würde man mir wohl sagen, wenn man diese kleine Schüssel Rohkost und das Nicht-Vollkorn-Toast mit Mayo und Ei sehen würde, das zu allem Übel auch noch viel zu stark gesalzen ist? "Das Gemüse solltest du dünsten, so ist es schonender für den Magen. Das Toast hat viel zu wenig Ballaststoffe und ist auch noch voll mit Zucker und Konservierungsstoffen. Vollkornbrote sind viel gesünder und besser für die Verdauung. Mayonnaise ist zu fettig und liegt schwer im Magen. Zu viel Salz ist nicht gut für dein Herz..." Ich könnte die Liste an Verbesserungsvorschlägen wohl endlos weiterführen. Und genau das ist das Problem. Wenn wir auf eine Person treffen, die an einer schweren Erkrankung leidet, dann wollen wir im Regelfall helfen. Wir fühlen uns unsicher, wissen nicht, was wir nun tun sollen. Da liegt es doch nahe, unser Wissen hervorzukramen und einen hilfreichen Ratschlag zu geben. Lieb gemeint, aber schlecht durchdacht. Ungebetene Ratschläge bewirken meist das Gegenteil ihrer ursprünglichen Intention. Als Beispiel: Mir wird vorgeschlagen, meine Mahlzeiten durch Astronautennahrung zu ersetzen. Bei mir kommt aber Folgendes an: "Es ist doch naheliegend, Astronautennahrung auszuprobieren. Warum versuchst du es nicht? Du solltest dich mehr mit der Thematik auseinanderzusetzen. Willst du denn gar nicht gesund werden? Du solltest dir mehr Mühe geben..." Dabei ist es vollkommen egal, mit welcher Absicht ihr einen Ratschlag gebt oder wie ihr euch dabei ausdrückt. Es wird beim Empfänger falsch ankommen. Warum? Ihr seid nicht die Ersten, die in einer unbehaglichen Situation feststecken und nicht wissen, wie sie dort am geschicktesten herauskommen. Ich drücke mich bewusst so deutlich aus, um für dieses Thema zu sensibilisieren. Denn es ist nicht einfach nur ein Ratschlag, der "doch schließlich" gut gemeint ist. Es ist eine weitere Wunde, die aufgerissen wird, wieder und wieder und wieder. Die Situationen, in denen die Worte fehlen, sind für beide Seiten unangenehm. Aber chronisch Kranke sind nicht dafür verantwortlich, dass ihr euch durch das Erteilen eines Ratschlages besser fühlt. Ein weiterer Gedankenanstoß bezüglich ungebetenen Ratschlägen ist: Eine schwere Erkrankung heilt man nicht mit Hilfe "einfacher Tricks". Deshalb heißt sie SCHWERE Erkrankung, weil es eben alles andere als leicht ist, mit ihr zu leben. Es gibt sicher einige Ratschläge, die hilfreich sind. Doch im Großen und Ganzen, bleibt es ein Tropfen auf den heißen Stein. Und selbst wenn es ein wirklich hilfreicher "Trick" war, den ihr gegeben habt, dann seid euch sicher, chronisch Kranke haben ihn mindestens schon einmal ausprobiert. Wir sind Experten unserer Erkrankung und wissen am besten, was uns gut tut und was nicht. Es gibt dabei kein richtig oder falsch, denn gesund Leben zu wollen ändert nichts daran, dass wir krank sind! Wenn wir noch einmal kurz zu dem Abschnitt mit dem Abendessen zurückspringen... Sicher hätte ich tausend andere Dinge essen können, die nach Lehrbuch bekömmlicher für meinen Magen wären. Doch manchmal geht es nicht darum, was man isst. Es geht darum, dass man isst. Und wenn es ein Schoko-Eis mit Sahne gewesen wäre, es wäre in Ordnung. Da ich nun einmal dabei, bin über den Umgang mit chronisch Kranken zu sprechen, möchte ich euch noch zwei weitere Gedankenanstöße mitgeben. Wenn es darum geht, eine schwer kranke Person aufzubauen, dann ist es nicht unbedingt hilfreich Motivationssprüche, wie "Bleib stark. Kämpfe weiter. Sei tapfer...", zu verwenden. Keine Frage, wir müssen an vielen Tagen in unserem Leben stark sein, kämpfen und immer wieder Tapferkeit beweisen. Aber es ist keine Schande, wenn wir das Mal nicht schaffen. Ganz im Gegenteil, es ist menschlich. Diese Art von Motivationssprüchen übt den Druck aus, nie traurig sein zu dürfen, immer alles geben zu müssen und sich keine Pause erlauben zu können. Es fühlt sich an, als würde man ständig versagen, weil man als chronisch Kranker einfach nicht gesund werden kann. Ihr merkt schon, dieser Schluss ist äußerst problematisch. Das Wort "kämpfen" und ähnliches ist natürlich nicht verboten und kann in manchen Situationen absolut passend sein. Zum Beispiel, wenn man vor einer OP sagt: "Du bist ein Kämpfer, halte durch." Es mag jetzt total verwirrend sein, aber in diesem Fall handelt es sich um einen vorübergehenden und nicht um einen chronischen Zustand. Wir werden oft dazu gezwungen stark zu sein, zu kämpfen und an unsere Grenzen zu gehen. Aber eben nur in besonders schweren Zeitabschnitten, nicht dauerhaft, ein Leben lang. Genau so verhält es sich mit dem optimistisch sein. Es ist unumstritten, dass ein positives Mind-Set sich positiv auf unser allgemeines Wohlbefinden auswirkt. Doch auch hier gilt: optimistisch zu sein gelingt uns an einigen Tagen besser, als an anderen und kann dem einen grundsätzlich etwas leichter fallen, als einem anderen. Wir können auch nur in dem Maße optimistisch sein, in dem es für uns realistisch bleibt. Schließlich ist zwar unser Körper krank, nicht aber unser Verstand. Gefährlich wird es, wie ich finde, wenn man schwere Erkrankungen durch unnatürlichen Optimismus verharmlost. So sind mir das ein oder andere Mal Dinge zu Ohren gekommen, wie "Deine Erkrankung hat doch auch etwas positives. Nur durch deine Erkrankung bist du zu dem Menschen geworden, der du jetzt bist. Die Depression ist das Beste, das dir passieren konnte..." Es mag sein, dass ich durch meine Erkrankungen einiges über das Leben gelernt habe. ABER das rechtfertigt nicht, sich über seine Erkrankung "freuen" zu müssen. Ich hätte sicherlich auch als gesunder Mensch genauso Erfahrungen gemacht, die mich in positiver Art und Weise geprägt hätten. Es braucht keinen Schicksalsschlag, um sich persönlich weiterzuentwickeln. Das Gefährliche an dieser falschen Positivität ist, dass wir dadurch den schweren Leidensdruck von Patient:innen herunterspielen und sie nicht Ernst genug nehmen. Ihr seht, an jeder unüberlegten Aussage, hängt ein gewaltiger Rattenschwanz. Die Quintessenz aus diesem Beitrag ist also: Verzichtet darauf ungebetene Ratschläge zu erteilen; vermeidet Motivationssprüche, die einen unbändigen Kampfgeist voraussetzen bzw. setzt sie an passender Stelle ein und behaltet unnatürlichen Optimismus für Euch, denn Positivität und Gelassenheit auszustrahlen ist deutlich hilfreicher. Die richtigen Worte zu finden, ist gewiss eine Gratwanderung und auch ich weiß manchmal nicht, wie ich auf bestimmte Menschen oder bestimmte Situationen reagieren soll. Das A und O einer guten Kommunikation ist, Verständnis für sein Gegenüber zu schaffen und keine Scheu davor zu haben nachzufragen, was die Person gerade von uns braucht.
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