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Dankbarkeit

Aktualisiert: 4. Jan. 2022

Was Dankbarkeit für mich bedeutet, offenbarte sich mir erst durch meine Erkrankung und meine Erfahrungen mit ihr. Dankbarkeit findet in meinem Leben natürlich schon immer einen Platz. Sie schwingt aber manchmal nur ganz oberflächlich mit oder gerät in Vergessenheit. Wie oft sagen wir "Danke" aus einer Gewohnheit heraus oder aus Höflichkeit? Sei es die Rückgabe von Wechselgeld an der Supermarktkasse oder der Liebe Gruß aus dem Urlaub. In "Danke" steckt doch soviel mehr, als wir uns im Alltag bewusst machen. Eine Form der Dankbarkeit, begleitet mich bekanntlich schon mein ganzes Leben. Es ist die, die meinen Eltern gebührt. Ich hoffe, jeder der meine Beiträge liest, weiß wovon ich spreche. Und wer es schafft diese Liebe in Worte zu fassen, der darf mich gerne darüber unterrichten. In den letzten Jahren habe ich immer mehr gelernt, die "kleinen" Dinge im Leben zu schätzen. Die kleinen Dinge, die in ihrer Vielzahl doch zu großen Dingen werden. Damit ihr verstehen könnt, warum ich gerade jetzt über dieses Thema schreibe und um welche "Kleinigkeiten" es sich dreht, möchte ich euch von Sarah erzählen. Sarah ist 18 Jahre alt und kennt das Leben mit einem Bauchmonster nur zu gut. Sie hat beinahe das gleiche Krankheitsbild wie ich, aber in einer noch extremeren Form. Seit langer Zeit wird sie ausschließlich parental ernährt. Das bedeutet, dass lediglich Flüssigkeit ihr Verdauungssystem passiert. Alles andere wird über eine Nährstofflösung direkt in die Blutbahn verabreicht. Diese Ernährungsform birgt allerdings viele Risiken, wie eine starke Belastung der Venen und Organe sowie eine Entzündungsgefahr des Ports. Sarah wurde bereits ein Enddarm-Schrittmacher implantiert, der ihr aber nicht helfen kann. Da sie auch schon alle Medikamente getestet hatte, empfohlen ihr die "Gastro-Spezialisten" (über die ich hier auch schon des öfteren geschrieben habe), einen Magenschrittmacher. Kurz vor der Operation, stieß sie zufällig auf meinen Blog. Sie hatte von dem Wilkie-Syndrom noch nie etwas gehört und stellte sich nun die Frage, ob auch sie an diesem Krankheitsbild leiden würde. Während sie mir am Telefon ihre Geschichte erzählte, fühlte ich mich, als würde ich da gerade selber sprechen. So viel war identisch. Dann gab ich ihr den Kontakt von Dr. Incredible. Ein paar Tage später erhielt ich die Nachricht, dass sie ebenfalls an dem Kompressionssyndrom litt. In diesem Moment lag ich schwitzend auf unserem Boot im Mittelmeer und bekam Gänsehaut. Sarah hält mich immer auf dem Laufenden und war sogar nach ihrer Operation relativ schnell bei klarem Verstand. Die Narkoseärzte legten ihr eine Schmerzpumpe in den Rücken, um die Schmerzmittelbelastung auf den Darm zu minimieren. Ich war begeistert, denn mein Darm hatte nach meiner Operation schwer mit dem Morphin zu kämpfen. Aber einige Tage später schrieb mir Sarah's Vater. Die PDA lag falsch, wodurch Rücken- und Hirnwasser in den Rücken floss. Das führte zu ständigem Erbrechen und unsagbar starken Kopfschmerzen. Als sie endlich entlassen wurde, entzündete sich zu allem Übel auch noch ihr Port für die künstliche Ernährung. Dr. Incredible schickte den Port ins Labor und ließ es Sarah zunächst mit Trinknahrung versuchen. Seine Prognose klang aber nicht sehr viel versprechend. Seiner Erfahrung nach braucht der Körper sehr viel mehr Zeit, um seine Arbeit wieder aufzunehmen. Und so vermutete er, dass er ihr bald einen neuen Port legen müsste. Das schockierendste an der ganzen Situation war für mich, dass der Port derart voller Keime war, dass Sarah kurz vor einer Herzmuskelentzündung stand. Sie hätte sogar an einem Herzinfarkt sterben können. Seit dem ich ihre Geschichte verfolge, wird mir bewusst, wie gut es mir trotz meines Bauchmonsters geht. Und da kommen wir nun auch zum Thema Dankbarkeit zurück. Sie beginnt dort, wo negative Gedankenmuster enden. In der Regel haben wir ein katastrophisches Gehirn, das sich auf negative Szenarien und unsere Ängste fokussiert. Das stammt aus der Zeit, in der die Menschen in ihrem Alltag ständig Gefahren ausgesetzt waren. Heute sind es Probleme und Schwierigkeiten, auf die sich unser Gehirn konzentriert. Alles was einfach gut läuft, wird ausgeblendet. Dadurch leben wir viel öfter in der Zukunft, als in der Gegenwart. Unser Gehirn bestimmt also zum Großteil unser Denken und beeinflusst somit unser Handeln. Unterbewusst handeln wir genau so, dass sich unsere Erwartungshaltung erfüllt. Schließlich müssten wir sonst zugeben, dass wir uns geirrt haben. Also haben unsere Gedanken sehr viel Einfluss auf unsere Wirklichkeit. In der letzten Zeit habe ich sehr oft mit Ängsten und negativen Erwartungshaltungen zu kämpfen. Also habe ich begonnen ein positives Tagebuch zu schreiben. Ich setzte mich Abends mit Stift und Papier an meinen Schreibtisch und notiere ausschließlich positive Erlebnisse. Wenn mir ein negativer Gedanke begegnet, dann versuche ich ihn umzulenken und das Positive wertzuschätzen. Ich versuche mich weniger auf die Zukunft zu konzentrieren, sondern mehr im hier und jetzt zu leben. So versuche ich negative Prophezeiungen zu vermeiden. Es gibt Tage, an denen diese Strategien sehr gut helfen. Allerdings gibt es auch Tage, an denen ich nur schwer aus meiner Angstspirale rausfinde. Dann reise ich in die Vergangenheit an Orte oder in Situationen, die ich sehr positiv erlebt habe. In denen ich Erfolg und Mut hatte, eine Zeit in der es mir gut ging. Dabei wird mir dann bewusst, wie dankbar ich für jeden Tag sein kann, an dem ich morgens ohne Bauchschmerzen aufwache. An dem ich frei von Abführmitteln bleibe, eine Pizza genießen kann, ein Kilo mehr auf der Wage sehe, einen Urlaub erleben darf, ein Pferd reiten kann und und und. Diese, für die meisten Menschen Selbstverständlichkeiten, sind die kleinen Dinge, die in ihrer Fülle zu etwas Großem werden, wenn man sie zu schätzen weiß.

 
 
 

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