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Autopilot

Aktualisiert: 15. Juni 2023

Vor ein paar Tagen wurde ich gefragt, wie ich es schaffe trotz der Erkrankung in den Stall zu fahren und zu reiten. Das war eine sehr gute Frage, denn manchmal weiß ich selbst nicht woher mein Körper diese Kraft noch nimmt. Vielleicht macht es manchmal den Anschein, als sei alles nicht so schwer. Doch ich kann Euch sagen, das ist es. Ich glaube vieles mache ich einfach, weil es Routine ist. Mein Körper schaltet auf Autopilot, so dass er auch mit wenig Energie und Konzentration funktioniert. Deshalb mache ich auch ungern neue Dinge, denn sie kosten mich unheimlich viel Kraft und sehr viel Überwindung, da ich nicht weiß, ob sich die Mühe lohnt. Ich glaube das war mitunter ein Grund dafür, dass ich mich nach meiner Prüfung zum Reitabzeichen, drei Tage lang wie krank gefühlt habe. Jede Bewegung war eigentlich eine zu viel. Aber der Wille ist manchmal stärker als die Kraft. Ich wollte dieses Reitabzeichen so sehr, dass ich meinen Körper wissentlich überfordert habe. Körperlich natürlich dadurch, dass ich zu wenig gegessen und getrunken habe, um zwei Pferde zu verladen, zu fahren und zu reiten. Aber auch psychisch stand ich vor einer großen Herausforderung. Um 05 Uhr Morgens zu frühstücken widerstrebt eigentlich jeder einzelnen Faser meines Körpers. Das Wissen darüber, dass mir so früh am morgen übel sein wird, mir das frühstücken extrem schwer fallen wird und ich mich danach noch schlechter fühlen werde, hat mir schon Wochen vor der Prüfung den Schlaf geraubt. Dadurch bekommen solche Ereignisse, immer einen negativen Beigeschmack, obwohl es eigentlich Tage voll positiver Aufregung und Freude sein sollten. Komischerweise, war es dieses Mal nicht ganz so schlimm, wie ich es mir ausgemalt hatte. Und das sorgte für große Verwirrung. Seit Jahren studiere ich mein Bauchmonster: Wann wird es besonders schlimm, was tut mir gut, was kann ich tun? Lebensmittel als Ursache kann ich mit 100%iger Sicherheit ausschließen, denn ich habe meine Ernährung über Jahre hinweg auf meinen Körper angepasst und weiß ganz genau, was mir wann gut tut und was nicht. Stress war immer ein Faktor, bei dem ich mich gefragt hatte, ob er eine schlechte Phase auslösen kann oder ob er nur erschwerend hinzu kommt. Ich denke es ist durchaus sinnvoll das Stress-Level grundsätzlich so niedrig wie möglich zu halten. Denn Stress trägt bestimmt dazu bei, dass mein Bauchmonster ab und zu lauter wird. Aber seit dem Reitabzeichen bin ich mir fast sicher, dass Stress nicht der alleinige Auslöser ist. CIPO ist beispielsweise auch eine seltene Motilitätsstörung des Verdauungstraktes. Bei diesem Krankheitsbild kann man rezidivierende Phasen feststellen. Das heißt, es gibt Phasen, in denen die Patienten an Darmverschlüssen etc. leiden und es gibt Phasen, in denen Ärzte nicht einmal mit bildgebenden Verfahren eine Erkrankung diagnostizieren können. Ich glaube, dieses Bild trifft auch auf mein Bauchmonster zu. Ich denke es hat diese Fähigkeit sich unsichtbar zu machen und genau das ist es, was es so gemein macht. Ich fühle mich ja nicht umsonst so unverstanden und habe ständig das Gefühl mich für alles rechtfertigen zu müssen. So langsam denke ich, dass meine Psyche größere Narben davon getragen hat als mein Körper. Das gemeine ist auch hier, dass wir psychische Erkrankungen meistens nicht sehen können. Fast immer beobachten wir den Teil eines Menschen, der mit Autopilot fliegt und funktioniert. Doch was macht der Pilot? Ich habe oft das Gefühl, dass das Leben an mir vorbei zieht. Alle bewegen sich vorwärts, doch ich laufe rückwärts. Ich warte immer noch auf den Zeitpunkt, an dem mir jemand sagt, dass ich geheilt bin und mein Leben von nun an beginnen kann. Das soll nicht heißen, dass ich bis jetzt nicht gelebt habe oder es nicht zu schätzen wüsste, wie schön mein Leben trotz der Erkrankung ist. Es ist einfach immer dieser letzte Funken Hoffnung, der mir ein "normales" Leben verspricht. Aber vielleicht ist jetzt der Punkt erreicht, an dem ich anfangen muss, aufzuhören. Aufzuhören mit der Suche nach einer Ursache und einer "wundersamen" Therapie. Ich muss gestehen, dass ich diese Akzeptanz kaum zulassen möchte. Doch womöglich geht es nicht darum die Hoffnung aufzugeben, sondern den Fokus anders zu legen. Am Anfang des Beitrags habe ich ja schon erwähnt, dass es mir manchmal schwer fällt, mich für etwas zu motivieren. In den Stall zu fahren, kostet mich zwar einen Haufen Überwindung, aber ich schaffe es. Ich schaffe es, weil ein Pferd immer ein Garant für bessere Stimmung ist. Mich für Dinge außerhalb meiner Komfortzone zu begeistern fällt mir dreimal so schwer. Anstatt mit Freunden auszugehen, bleibe ich oft lieber zu Hause. Nicht mal unbedingt, weil es mir körperlich super schlecht geht. Manchmal ist es einfach das "anders sein", was ich nicht ertragen kann. Ich versuche es anhand einer Geburtstagsfeier zu erklären: "Was möchtest du trinken?", fragt mich eine Person, die ich nur flüchtig kenne. "Ein stilles Wasser" ist meine Antwort, obwohl ich eigentlich das schon nicht trinken möchte. "Wir haben aber auch Limo oder Cola, wenn du noch fahren musst.", erwidert die Stimme. Ab diesem Zeitpunkt fange ich an zu denken, dass ich mich nun für das stille Wasser rechtfertigen müsste. Ich komme mir vor, als wäre ich die Spaßbremse schlecht hin und möchte eigentlich schon wieder nach Hause. Es genügt aber allein schon der Gedanke daran, dass ich ständig nach etwas Zutrinken gefragt werden könnte und ich immer wieder mit unterdrückter Wut sagen muss "nein danke.". Um solche Situationen zu vermeiden, bleibe ich lieber zu Hause. Der Haken daran ist aber, dass ich dadurch das Gefühl bekomme, etwas zu verpassen. Dann bin ich wütend auf mich und meine Laune wird noch schlechter. Das bringt die Abwärts-Spirale der depressiven Stimmung dann so richtig in Fahrt. Zum Glück, gibt es auch eine Aufwärtsspirale. Selbst wenn ein Erlebnis nicht die gute Laune verspricht, die ich im Stall garantiert bekomme, bewahrt es mich zumindest vor dem Weg in die Abwärts-Spirale. Doch es ist wie mit der Akzeptanz. Ich werde nicht alles von heute auf morgen mit einem Fingerschnippen ändern können. Aber ich werde es versuchen. Und bis dahin hilft es schon, wenn man eine Mama hat, die einen Tee mit einer ordentlichen Portion Honig kocht, eine Wärmflasche ans Bett bringt und Medikamente besorgen kann, die eigentlich nicht mehr lieferbar sind. Oder einen Papa hat, der fragt, wie der Tag war, der zuhört und der immer die richtigen Worte für bessere Laune findet.











 
 
 

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