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2. Adventswochenende

Es war bereits Samstag, aber es fühlte sich an, als müsste ich noch eine Ewigkeit im Krankenhaus bleiben. Desto "fitter" ich mich fühlte, desto länger wurden die Tage und Nächte. Am Morgen wurden endlich meine Thrombosestrümpfe gewechselt. Im Nachhinein eigentlich eine ekelige Angelegenheit, schließlich trug ich die Strümpfe schon beinah eine ganze Woche. Die Schwester nahm einen Waschlappen und wusch mir damit Beine, Rücken und Arme. Katzenwäsche, würde Mama dazu sagen. Nach der Operation klang meine Stimme ziemlich gedämpft und mir ging schnell die Puste beim Sprechen aus. Aber Samstag Nachmittag fühlte ich mich stark genug, um ein paar längere Telefonate zu führen. Die Ablenkung bekam mir gut, schließlich durfte mich außer meinen Eltern, die auch nur eine Stunde bleiben durften, niemand besuchen. Anschließend packte ich meinen Laptop aus und begann erste Notizen und erinnerungswürdige Situationen aus den vergangenen Tagen niederzuschreiben. Dabei fiel mir erst auf, wie groß der Filmriss war bzw. immer noch ist, denn die Erinnerungen kamen nur in Fetzen zurück. Als wollte man ein Puzzle zu Ende bringen, aber die Hälfte der Teile war verloren gegangen. Wie jeden Tag kam Dr. Incredible Morgens und Nachmittags nach mir sehen. Da mein Zugang verstopft war, legte er mir gleich einen neuen. Zum Glück können Gefäßchirurgen nicht nur gut schneiden, sondern auch gut piksen. Nun bekam ich nur noch Schmerzmittel über den Zugang und keine Ringerlösung mehr. Ich sollte mich daran gewöhnen wieder eigenständig zu trinken. Ich habe es damals gehasst und ich hasse es heute noch, meine Begeisterung hielt sich also in Grenzen. Um wenigstens den Flüssigkeitshaushalt der fehlenden Infusion ausgleichen zu können, stellte ich mir eine Flasche Wasser ans Bett. Ich nahm mir täglich vor diese und eine Tasse Tee zu trinken. Vorsätze einhalten kann ich, also trickste ich mich damit selber aus. Da mein Darm an seinem Streik festhielt und keinen Finger zu rühren schien, versuchte ich ihn mit Bewegung zu überzeugen. Ich stand also auf und begab mich auf den Flur. Gerade als ich losgehen wollte, fiel mir auf, dass ich meine Maske vergessen hatte. Meine zwei Bettnachbarinnen gucken schon ganz verblüfft und fragten, ob ich es nicht schaffen könnte. Ich griff zur Maske, dann sagte ich entschlossen: "Doch!". Und so schlürfte ich über den Flur. Als ich am Schwesternzimmer vorbei kam, fühlte ich mich als wäre ich gerade dabei einen Rekord aufzustellen, denn sie feuerten mich an. Ich schaffte zwei Runden um die Station. Es waren ungefähr fünf Minuten, die ich durchgehalten hatte. Zurück auf dem Zimmer war ich völlig aus der Puste und legte mich zurück ins Bett. Wahrscheinlich hat mich mein Darm in diesem Moment ausgelacht, aber es war ein Anfang. In der Nacht startete ich erneut einen Versuch mich auf die Seite zu legen. Nach vier Nächten konnte ich endlich auf der rechten Seite schlafen. Ich musste mir ein Kissen unter den Brustkorb schieben und es dauerte einige Zeit, bis ich eine bequeme Position gefunden hatte. Ich konnte ausschließlich auf der rechten Seite oder auf dem Rücken schlafen, denn auf der linken Seite spürte ich die Schmerzen der Operation sehr viel stärker. Die Prothese wurde ja auch um die linke Nierenvene genäht. Der nächste Morgen begann wie immer mit der Blutdruckmessung. Als mir der Pfleger gerade den Unterschied zwischen systolischem (Herzwert) und diastolischem Blutdruck (Gefäßwert) erklärte, nannte mir die Schwester meine Wert: "110 zu 90." Ich war überrascht, denn normalerweise werde ich gefragt, ob es mir gut geht. Manchmal liegt mein Blutdruck bei 80 zu 60. Ich schätze das ist ein gutes Zeichen. Mein Blut scheint wohl keine Umwege mehr fließen zu müssen. Nach dem Frühstück, einem halben Brötchen mit Frischkäse, lief ich schon acht Runden über den Flur. Am meisten freute ich mich an diesem Tag auf den Besuch meiner Mama. Sie hatte mir schon am Abend der Aufnahme eine kleine Tasche mit Weihnachtssüßigkeiten da gelassen, weil sie sich nicht sicher war, ob sie mich besuchen könnte. Ich war also am 2. Advent sogar mit einem Schoko-Nikolaus ausgestattet. Nur leider wurde mir bei seinem Anblick kotzübel. Dafür hatte Mama mir selbst gemachten Apfelkompott mitgebracht und das Essen tat auch nur noch halb so weh. Die Krämpfe wurden weniger, aber die anschließende Übelkeit wurde schlimmer. Nach einem halben Glas Apfelkompott, musste auch dieser aus meinem Blickfeld verschwinden, da mir auch davon plötzlich schlecht wurde. Meine Mama wusch mir noch die Haare über dem Waschbecken, bevor sie ging. An diesem Tag hatte ich also beinah eine komplette Dusche gehabt. Aber die Vorfreude, Zuhause unter einer richtigen Dusche zu stehen und danach in ein großes, kuscheliges Bett zu fallen, hielt sich kaum in Grenzen. Sonntag Abend bekam ich leider noch starke Brustschmerzen. Die Schwester rief Dr. Incredible an, der "bereits" im Feierabend war. Sogar am Sonntag war er morgens da gewesen, um sicher zu gehen, dass es mir gut geht. Fünf Minuten später tauchte die Schwester und ein anderer Chirurg in meinem Zimmer auf. Nachdem die Schwester ein EKG machte, das zum Glück unauffällig war, schaute sich der Chirurg meine Narbe an. Es schien alles in Ordnung zu sein. Trotzdem sahen die Schwestern, in dieser Nacht, häufiger als sonst nach mir. Die Nacht verlief ruhig und ich sparte mir die Schmerzmittel so lange auf, wie möglich. Die letzte Infusion bekam ich gegen 19:00Uhr. Bis 06:00Uhr hielt ich es ohne aus, aber dann musst ich doch nachgeben.

 
 
 

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